Meinungsvielfalt vs. Meinungsmache – ein Kommentar zum Stand des Journalismus!
Einschneidende Maßnahmen in unser Privatleben und ins Geschäftliche werfen zurzeit – nicht allein wegen des Corona-Virus‘, aber in diesem Zusammenhang besonders offensichtlich – Fragen bezüglich der Meinungsvielfalt, des Vertrauens in die Medien und nicht zuletzt der Aufgabe des Journalismus auf.
Der Anlass ist: Verunsicherung. Ich bin, wie sicherlich ein Großteil meiner ZeitgenossInnen, in vielerlei Hinsicht verunsichert! Wie gefährlich ist das Corona-Virus – für mich persönlich, für meine Verwandten und Bekannten, für die Menschen in ihrer Gesamtheit und nicht zuletzt für die Wirtschaft? Gehen die ergriffenen Maßnahmen weit genug, um uns wirklich zu schützen, oder gehen sie bereits viel zu weit und bedrohen unsere Freiheit, die Demokratie und die Grundlagen unseres Zusammenlebens?
Allgemeine Verunsicherung: Durch oder trotz Journalismus?
Diese weitverbreitete Verunsicherung hat viel mit dem Journalismus und unseren Medien zu tun – aber nicht so, wie viele von Ihnen jetzt vielleicht vermuten.
Vorab möchte ich jetzt schon all diejenigen enttäuschen, die hier ein allgemeines Medien-Bashing erwarten. Es geht mir auch nicht darum, hier die bzw. „eine“ Wahrheit zu verbreiten. Erst recht keine alternative Wahrheit.
Ich möchte hier der Frage nachgehen: Hat der Journalismus die Verunsicherung, die wir zurzeit erleben, geschaffen oder ist er die „letzte Bastion“ gegen die Vereinnahmung der Verunsicherung durch Einzelinteressen?
Falsche sind Propheten überall – aber wo genau?
Mit diesem Meinungsbeitrag möchte ich der Verunsicherung zumindest ein wenig entgegentreten, sodass es leichter wird, Journalismus und Meinungsmache klar voneinander zu unterscheiden. Möglicherweise erreichen wir auf diese Weise ja eine bessere Orientierung, ohne dass wir Gefahr laufen, falschen Propheten hinterherzulaufen. Denn das Internet hat mehr als genug Propheten zu bieten, die alles besser wissen und die Wahrheit scheinbar für sich gepachtet haben.
Verunsicherung ist eben kein guter Ratgeber, zumal sie mit dem Hochkochen von Emotionen verbunden ist. Welchen Quellen sollen / wollen wir vertrauen? Und welche Aufgabe hat der Journalismus? Hierzu später mehr.
Pluralismus: Die Einigung darauf, dass niemand die Wahrheit für sich gepachtet hat
Etablierte Medien wie Zeitungen und Magazine der Vor-Internet-Ära genießen nicht (mehr) den besten Ruf. Allerdings: „Früher“ war vieles einfacher. Wir konnten die Tageszeitungen und Wochenmagazine zuordnen, vorzugsweise in ein „Rechts-Links-Schema“ oder in Kategorien wie „konservativ vs. progressiv“.
Beispiele:
Wer sich eher im konservativen oder wirtschaftsliberalen Milieu verortete, vertraute gern auf die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“. Anhänger des bürgerlich-linken Spektrum fühlten sich bei der „Süddeutschen“ zuhause. Die grün-alternativ orientierten Menschen lasen die „Tageszeitung“ (taz) – und so weiter, und so fort. Zumindest ich hatte das Gefühl, dass Pluralität (Meinungsvielfalt) gegeben ist. Viele andere sicher auch.
Pluralismus bedeutet(e):
Kein Medium konnte (oder wollte) für sich allein beanspruchen, die ganze Meinungsvielfalt abzubilden – was auch niemand ernsthaft behauptete. Aber die Gesamtheit der Medien sorgte für eine gewisse Ausgeglichenheit – zumindest für diejenigen, die sich Mühe gaben, über den eigenen Tellerrand (heute wohl „die Filterblase“) hinauszuschauen. Es war eine Art Balance gegeben – eine friedliche Koexistenz unterschiedlicher Sichtweisen auf die Welt.
Die Öffentlich-Rechtlichen: Von den Wahrern der Demokratie zu Buhmännern
Beleuchten wir nun die öffentlich-rechtlichen Medienanstalten. Bestimmte Kreise (Populisten) bevorzugen hier Bezeichnungen wie „Mainstreammedien“ und „Staatsfunk“ und behaupten, die Medien seien „gleichgeschaltet“ und die hier tätigen Journalisten allesamt „von oben“ gesteuert. Blödsinn.
Tatsächlich wurden die Öffentlich-Rechtlichen vor dem Hintergrund der Erfahrungen aus dem Dritten Reich gegründet, um dem Missbrauch von Medien mit großem Einfluss (Radio, TV) durch einzelne Interessengruppen vorzubeugen und eine „Gleichschaltung“ zu verhindern! Dies hat meines Erachtens (und ich habe diesen Beitrag schon in der Überschrift bewusst als „Kommentar“ bezeichnet!) recht gut funktioniert, und das tut es m. E. noch immer. In diesem Zusammenhang wird ja auch gern der Zwangsbeitrag (Gebühren) kritisiert. Das ist ein Thema für sich. Von meiner Seite hier nur so viel: Ich befürworte, dass über die gebührenfinanzierten Medien eine weitgehende Unabhängigkeit gewährleistet bleibt und die Sender nicht zum Spielball von Interessengruppen werden.
System mit Schwächen – und einer besonderen Stärke
Ist das öffentlich-rechtliche Fernsehen behäbig, wenig experimentierfreudig und in seiner Grundstruktur stark von Bürokratie, Beamtenmentalität und Parteienproporz geprägt? Dies würde ich auf jeden Fall bejahen. Aber handelt es sich um „Staatsfunk“, der Propaganda betreibt, wie wir es regelmäßig in den Kommentarspalten der Sozialen Medien lesen können? Eindeutig nein. Sie kommen meines Erachtens weiterhin ihrem Auftrag einer journalistischen Grundversorgung nach. Das System hat Schwächen, aber ich persönlich kenne kein besseres!
Mitte der Achtzigerjahre kam das Privatfernsehen auf, und viele private Radiostationen gesellten sich hinzu. Ich würde nicht behaupten, dass deren oberste Priorität auf einem Qualitätsjournalismus lag, sondern eher auf Entertainment, denn hiermit lassen sich deutlich bessere Werbeeinnahmen generieren… Aber letzten Endes fügten auch sie der bunten Medienlandschaft viele interessante Facetten hinzu, und der Pluralismus erhielt trotz insgesamt flacher Programme mehr Tiefe.
Journalismus: Grundkonsens in Gefahr
Was den Journalismus betraf, gab es einen Grundkonsens: Es sollte und konnte klar unterschieden werden zwischen Nachrichten (Meldungen, Berichte etc.) und Meinungsbeiträgen (Kommentar, Glosse, Leitartikel etc.). Wir sollten uns nicht der Illusion hingeben, dass dies immer eingehalten wurde – insbesondere von einem gewissen Massenmedium mit vier Buchstaben, aber auch bei anderen – und sind auch früher dieser Selbsttäuschung nicht erlegen. Aber wer es wollte, konnte einigermaßen einordnen, wer für wen aus welchem Blickwinkel heraus journalistisch tätig war.
Das „Geschäftsmodell“ der Journalisten und Medien besteht einfach darin, die für die jeweiligen Zielgruppen relevanten Informationen zu sammeln, einzuordnen, aufzubereiten und weiterzugeben.
Journalismus ist „Trial and Error“: Wir müssen Journalisten und Medien zugestehen, dass sie sich hierbei auch mal irren. Das ist menschlich und unvermeidlich wie in jedem beruflichen Alltag. In einem solchen Fall muss dies aufgedeckt werden. Die Öffentlichkeit erhält Kenntnis davon, es erfolgt eine Korrektur und eine Gegendarstellung wird veröffentlicht. Unsere Demokratie hält das aus. Bestens sogar!
Das Internet etabliert seine eigenen Regeln
Diese Zwischenüberschrift ist eigentlich falsch, denn sie könnte suggerieren, dass „das Internet“ einen eigenen Willen hat und (irgendjemand) bewusst Entscheidungen trifft. Das ist natürlich Quatsch. Was das Statement „Das Internet etabliert seine eigenen Regeln“ eigentlich sagen soll: Die Wahrnehmung der Wirklichkeit hat sich mit der Ausbreitung des „chaotischen Systems Internet“ geändert, und wir versuchen jetzt, die neuen „Spielregeln“, die sich evolutionär ergeben haben, zu verstehen.
Jedenfalls wurde der Grundkonsens mit dem Aufkommen des Internets mehr als nur aufgeweicht. Beispielsweise durch sogenannte Influencer. Nun wurden viele, die über YouTube andere Kanäle ihre neue Öffentlichkeit bekamen, den Journalisten gleichgestellt, ohne dass diese Akteure sich dem „Ehrenkodex“ der Journalisten verpflichtet fühlen oder auch nur Kenntnis davon hätten.
Ganz gleich: Wer es schafft, vor der Kamera ein paar Sätze gerade auszusprechen, findet auch eine Plattform. Das ist nicht immer durch Relevanz begründet, und schon gar nicht durch Zuverlässigkeit oder gar journalistisches Handwerk. Ein nettes Lächeln, und schon lassen wir uns so ziemlich alles an drehen. So zumindest bei Influencern, die uns Kosmetik & Co. verkaufen wollen (natürlich schön als Produkttests verpackt).
Oder aber es treten Menschen auf, die mit finsterer Miene dem „Mainstream“ entgegentreten und sich als die „Stimme der Entrechteten“ profilieren: als Warner vor der vermeintlichen Islamisierung / Umvolkung / Klimahysterie / Zwangsimpfung / Chemtrails / Reptiloide, die unseren Planeten übernommen haben / Pseudo-Wissenschaftler, die von der Scheibenförmigkeit unsere Erde ablenken wollen … was auch immer… Hauptsache, die Verschwörungstheorie ist abstrus genug, und wir können uns als „Wissende“ dieser „alternativen Wahrheit“ im Vorteil betrachten. Dabei halten wir alle anderen für dumme Schafe, die dem Mainstream hinterherlaufen. Ach ja: Wer nicht an die „alternativen Fakten“ glaubt, gehört natürlich zum „System“, zum Establishment, zu den Unterdrückern der Wahrheit…
Haben wir derlei Unsinn in den Sozialen Medien nicht bereits oft genug erlebt? Aber welche Plattformen sind vertrauenswürdig? Welche YouTube-Videos genügen einer Prüfung auf Stichhaltigkeit? Und vor allem:
Und wie gehen wir jetzt mit unserer Verunsicherung um?
Am Ende dieses Beitrags möchte ich noch in aller Kürze auf zwei offene Fragen eingehen:
- Welche Aufgabe hat der Journalismus?
Journalismus soll uns die Welt erklären oder zumindest ein Stück weit erklärbarer machen. Er soll Positionen und Gegenpositionen vorstellen, Zusammenhänge verdeutlichen und Interessen hinterfragen.
Journalismus soll und darf auch Meinungen transportieren bzw. abbilden – wenn dies deutlich gemacht wird! Journalismus soll außerdem eine Funktion als „kritische Kontrollinstanz“ in der Gesellschaft wahrnehmen – auch als ein Gegengewicht zu den Regierenden – ganz gleich, auf welcher Ebene (kommunal, länderbezogen, bundes-, europa- und weltweit).
Journalisten und Medien sind in diesem Sinne Aufklärer und Erklärer – aber niemals Verklärer.
- Welchen Quellen sollen / wollen wir vertrauen?
An dieser Stelle eine „Positivliste“ zu benennen, verbietet sich. Sie wird niemals vollständig sein, und in Einzelfällen wird sie auch einfach falsch sein. Denn, wie bereits angemerkt: Medien und Journalisten können sich auch mal irren.
Letzten Endes werden wir uns immer wieder auf unser Bauchgefühl verlassen müssen. Mein Tipp: Ich frage mich bei jeder einzelnen Quelle, ob / wie sie mit journalistischen Grundsätzen verfährt. Unterscheidet sie zwischen Nachricht und Meinung? Diskreditiert sie Andersdenkende von vornherein? Wie offen ist sie in Bezug auf die eigene Lernfähigkeit und die Einsichtsfähigkeit, sich selbst zu korrigieren? Sorry, eine Blaupause ist dies sicher nicht. Aber in diesem pluralistischen System bin auch ich nur ein einzelner Meinungsträger.
Wir sind verunsichert. Stehen wir dazu. Aber bei aller Angst ist es geradezu unsere Pflicht, uns nicht emotionalisieren, aufpeitschen zu lassen. Denn dies würde nur denjenigen in die Karten spielen, denen es nicht um eine sachliche Auseinandersetzung geht, sondern um Panik, Chaos – und die Verunsicherung selbst!
Wir dürfen, können und müssen Berichte infrage stellen. Jederzeit überall, jedem gegenüber. Dies müssen wir aber respektvoll tun – ohne reflexartig alles zu verteufeln, was nicht in unsere mentale Komfortzone passt.
Was also tun? Im Zweifelsfall vertraue ich den klassischen Medien eher als Menschen, die die Verbreitung ihrer persönlichen Wahrheit als Mission betrachten. Das ist kein Allheilmittel – habe ich auch noch nie behauptet. Aber als mündige BürgerInnen kommen wir nicht umhin, hierzu Entscheidungen zu treffen.
Geschrieben am 30. März 2020